„Untergang“ von Ansprüchen nach § 3 Abs. 2 Berufskrankheitenverordnung

„Untergang“ von Ansprüchen nach § 3 Abs. 2 Berufskrankheitenverordnung, Ausgleich der durch die Tätigkeitsaufgabe erlittenen Verdienstausfälle, Übergangsleistungen

Zur allgemeinen Überraschung zaubern die Berufsgenossenschaften nunmehr das Urteil des BSG vom 22.03.2011 -B 2 U 12/10 R- gewissermaßen aus dem Ärmel.

Dort heißt es wörtlich:

„Das BSG konnte offenlassen, ob die tatsächlichen Feststellungen des LSG ausreichen, die Erfüllung aller dieser Tatbestandsvoraussetzungen für den umstrittenen Zeitraum ab dem 1.1.1994 bis zum 31.12.1998 zu bejahen. War der Tatbestand in dieser Zeit nicht erfüllt, bestand der Anspruch schon deshalb nicht.

War er damals aber erfüllt, ist der Anspruch auf die Ermessensentscheidung mit dem Ablauf des Fünf-Jahres-Zeitraums untergegangen. Ein Recht auf Zahlung von Übergangsleistungen darf nach diesem abgelaufenen Zeitraum nicht nachträglich bewilligt und kann daher auch nicht beansprucht werden. Auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Verjährungsfrage kam es also nicht an (Urteil vom 22.03.2011 – B 2 U 12/10 R).“

Es ist, als hätte das BSG die jahrzehntelang geltende Entschädigungspraxis gewissermaßen über Bord geworfen, und zwar ohne die maßgebliche Auslegungs- und Ermessensvorschrift des § 2 Abs. 2 SGB I zur Kenntnis zu nehmen.

Dort heißt es:

„§ 2 Abs. 2: Die nachfolgenden sozialen Rechte sind bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetzbuches und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicherzustellen, daß die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden.“

Die genannte Vorschrift des § 2 Abs. 2 SGB 1 verbietet es also dem BSG deutlich, entstandene Ansprüche auf Verdienstausfallersatz über 5 Jahre bei Aufgabe der gefährdenden Tätigkeiten durch die Rechtsprechung gewissermaßen zu vernichten.

Der Schaden der Berufskranken wächst also weiter, weil berufsgenossenschaftliche Entschädigungspraxis und Rechtsprechung diesem nicht Herr werden und dies offenbar auch gar nicht wollen.

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Blasenkrebserkrankung eines Malers und Lackierers

Blasenkrebserkrankung eines Malers und Lackierers, Diagnose des Blasenkarzinoms im Juli 2002, Gefährdungsbeginn 1974, und zwar etwa durch die Zersetzung von Farben, Abbeizen von Altbeschichtungen und Abbrennen von Altbeschichtungen, siehe Merkblatt des BMA zur Berufskrankheit Nr. 1301

Eine grundsätzliche Bedeutung wesentlicher Art vermochte das Bundessozialgericht in einem Beschluß über eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu erkennen, obwohl die Rechtsfrage aufgeworfen worden war, ob nun der Hinweis im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 3101 zutrifft oder nicht.

„Arbeiten mit dem fertigen Farbstoff und den gebrauchsartigen Farben sind ungefährlich, falls nicht infolge Zersetzung oder Zerstörung aromatische Amine, die die betreffenden Krankheiten verursachen können, frei werden.“

Das Landessozialgericht NRW – L 4 U 87/06 – hatte auf Seite 3 des Urteils festgehalten:

„Sieht der Senat keine Veranlassung, beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung nachzufragen, ob bei der Zersetzung von Farben aromatische Amine freigesetzt werden.“

Das Bundessozialgericht sah auch keinen Handlungsbedarf der höchsten Richter trotz der Fragestellung:

„Ob nicht die Sozialgerichtsbarkeit allgemein gehalten ist, in Berufskrankheitsfällen eine unabhängige arbeitstechnische Stellungnahme zu veranlassen, statt, wie in der Praxis nachgerade ausnahmslos die Expositionsgutachten des Technischen Aufsichtsdienstes der beklagten Partei zugrunde zu legen, die unter Verletzung überdies das Angebot eines Auswahlrechts durch die Berufsgenossenschaft eingeholt werden.“

Überprüfungsantrag war gleichzeitig zur Berufsgenossenschaft hin gestellt worden, und zwar auf Zugunstenbescheid nach § 44 SGB X, weil eine massive Carbolineumbelastung mit der Folge der Einwirkung von aromatischen Aminen vernachlässigt worden war im berufsgenossenschaftlichen Entschädigungsverfahren und im sozialgerichtlichen Prozeß.

Der Sachverständige Prof. Dr. N. bestätigte in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 05.05.2009, eine ernste Gefährdung stelle das verwendete Carbolineum dar, das als Ursache von Blasenkrebserkrankungen auch in der aktuellen arbeitsmedizinischen Literatur herausgestellt werde. Ausgehend von den Angaben des Benzidingehaltes in Carbolineum und einer Verwendung im zweistelligen Literbereich sechsmal im Jahr von 1974 bis 1985 sei die Gesamtdosis mit 8,25 MG zu errechnen. Schon bei der Hälfte dieser Dosis wäre an der beruflichen Verursachung der Erkrankung an Harnblasenkrebs kein Zweifel möglich. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 1301 seien ohne Zweifel erfüllt, hingewiesen werde noch einmal auf die typische Vorverlegung des Erkrankungszeitpunktes und auf das jugendliche Alter des Klägers bei Beginn der Exposition. Die BK bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage vom Tag der Erstdiagnose, dem 10.07.2002 für fünf Jahre lang 80 %, danach wegen der Neoblase dauerhaft 30 %.

Die korrekte Feststellung des honorigen Sachverständigen Prof. N. gab in diesem Fall nicht den Ausschlag, obwohl der Kläger zur Risikogruppe bzw. Hochrisikogruppe einer Berufskrankheit Nr. 1301, Blasenkrebs beruflicher Art, gehörte.

Zu fordern ist, daß das Sozialgerichtsgesetz dahin geändert wird, daß in jedem Fall die Revision zulässig ist, wenn ein Berufskrebs in Rede steht.

Die Quote von Fehlentscheidungen der Berufsgenossenschaften, deren eigene Technischen Aufsichtsbeamten die Gefährdung in Abrede stellen, gebietet dies.

Es sollte einmal beim führenden Arbeitsmediziner und Berufskrebsexperten Prof. Dr. H.-J. W. nachgehört werden, in welchem bestürzenden Ausmaß entschädigungsreife Berufskrebsfälle einschließlich der Asbestkrebsfälle, einschließlich der Asbestkrebsfälle überdies auch der Familienangehörigen von Asbestwerkern, einer anschließenden berufsgenossenschaftlichen und gerichtlichen Fehlentscheidung ausgesetzt sind.

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Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei einem Pleuramesotheliom

Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei einem Pleuramesotheliom;
hier: Eintritt der MdE aufgrund der Diagnosestellung mit dem Zeitpunkt der Diagnosestellung oder mit dem Eintritt der Beschwerden

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg – L 10 U 1173/08 – stellt zwar einerseits im Urteil fest, „Beschwerden wegen des Pleuramesothelioms sind erstmalig aufgrund der Untersuchung durch den Allgemeinarzt P. am 29.07.2004 dokumentiert, bei der der Versicherte das Auftreten von Beschwerden in Form zunehmender Belastungsdyspnoe mit einigen Tagen vor dem 29.07.2004 angab.

Mithin war vor der Krankschreibung der Beginn der Beschwerden, so daß die MdE mit 100 % = Rentensatz von 100 %, einige Tage vor der Krankschreibung auftrat.

Also hätte zunächst die Verletztenrente einsetzen müssen und sodann mit der Krankschreibung bzw. dem Ende der Lohnfortzahlung das Verletztengeld.

Statt dessen hebt das Berufungsgericht im konkreten Fall auf das Zufallsdatum der Diagnosestellung ab, statt auf den Beginn der Beschwerden.

Wenn dann die Revision nicht zugelassen wird, sollte sich das Bundessozialgericht wohl kaum für diese Fragestellung weiter interessieren, die im Tatsächlichen wurzelt.

Den Schaden haben die Hinterbliebenen, also die Witwe als Sonderrechtsnachfolgerin im konkreten Fall, eben weil der zweifelsfreie Eintritt der MdE vor der Krankschreibung, was mit Sicherheit so gesagt werden kann, nicht ausschlaggebend ist für die Feststellung der MdE, sondern das Datum der Diagnose.

Nach §§ 202 SGG, 287 ZPO analog hätte das Gericht in freier Überzeugungsbildung entscheiden müssen, wann der Schaden aufgetreten ist und in welcher Höhe.

Diese Abschätzung erfolgt nicht.

Vielmehr wird im Strengbeweis eingewandt, daß es auf das Datum der Diagnosestellung ankommt.

Die Folgen für die Berufsgenossenschaft wären gravierend, wenn die freie Überzeugungsbildung platzgreifen würde, weil dann der mutmaßliche Beginn der Beschwerden der Versicherungsfall wäre und dies den Beginn der Verletztenrente vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nach sich ziehen würde.

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