Verjährungseinrede der Berufsgenossenschaft im Falle der Berufskrankheit Nr. 4105
Stichwort: in praeteritum non vivitur – In der Vergangenheit wird nicht gelebt
Pleuramesotheliom, wo für 9 Leistungsjahre an Witwenrente berufsgenossenschaftlich die Einrede der Verjährung erhoben worden ist, Fall des SG Frankfurt – S 8 U 63/11 -.
Bei Prüfung der Verjährungseinrede der Berufsgenossenschaft gegenüber der Zahlung rückwirkend einer Witwenrente führt das Sozialgericht Frankfurt folgendes aus:
„Sofern der Kläger durch seinen Bevollmächtigten vortragen lässt, daß sich mit dem tödlichen Ausgang einer Berufskrankheit 4105 (Pleuramesotheliom) die wirtschaftliche Lage einer Familie fatal zu deren Lasten verändert, wenn nicht die Berufsgenossenschaft eintritt, stellt dies keinen Umstand dar, der in dieser Allgemeinheit bei der Ermessensentscheidung des Unfallversicherungsträgers zu beachten war.
Im Hinblick auf den Zweck der Verjährung ist nämlich zu berücksichtigen, so daß Sozialgericht, ob die Leistung nach langer Zeit noch den damit verfolgen Zweck erreichen kann. Denn in der Gesetzesbegründung zu § 45 SGB I ist ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß Sozialleistungen regelmäßig ihren eigentlichen sozialpolitischen Zweck nicht mehr erfüllen können, wenn sie nach längerer Zeit als Nachzahlung erbracht werden.(Stichwort: „in praeteritum non vivitur“).“
Wenn man dem Sozialgericht darin folgt, daß die Erhebung der Verjährungseinrede eine Ermessensentscheidung ist, dann ist es einigermaßen erstaunlich, daß in einem sehr ausführlichen Urteil gleichwohl nicht auf die maßgebliche Vorschrift des § 2 Abs. 2 SGB I eingegangen wird.
Bei Ausübung von Ermessen ist nämlich sicherzustellen, so der Gesetzgeber zwingend, daß die sozialen Rechte des Anspruchstellers hier der Witwe oder des Rechtsnachfolgers möglichst weitgehend verwirklicht werden.
Prüft man also auch aus Sicht des Versicherten bzw. von dessen Familie bei einem Pleuramesotheliom der vorliegenden Art, stellt man fest, daß die Leistungen von Amts wegen festzustellen gewesen wären.
Es ist den Berufsgenossenschaft auch keineswegs unmöglich, die auftretenden Asbestmesotheliomfälle von Amts wegen zu eruieren, weil der Verdacht auf eine Berufskrankheit bei jedem Mesotheliom gegeben ist, wie es ausdrücklich im Merkblatt des Bundesarbeitsministeriums zur Berufskrankheit Nr. 4105 heißt.
Dabei sind es keineswegs viele Fälle, die zu ermitteln wären, die allerdings so dringlich sind von dem fatalen Schicksal des Betroffenen her, daß man es nicht glauben möchte.
Aber auch ansonsten lebt die Sozialgerichtsbarkeit nicht in der Vergangenheit.
Wie anders wäre es zu erklären, daß allen Ernstes bei Asbestbelastungen den Betroffenen entgegengehalten wird, entweder derartige Asbestbelastungen seien in dem gewerblichen Berufsleben nicht feststellbar oder aber es wären die Grenzwerte eingehalten worden.
In keinem Fall war dies so in der Vergangenheit.
Bei einer einfachen Lärmschwerhörigkeit kam aus dem Kesselwerk, daß von der Berufsgenossenschaft angeschrieben wurde, der Hinweis, bei dem Kesselwerk wäre keine Lärmbelastungen feststellbar, obwohl vor Lärm, etwa 120 dB die Deckenpanele bzw. Deckenplatten gewissermaßen abplatzten.
Es stünde der Sozialgerichtsbarkeit sehr gut zu Gesicht, in der Vergangenheit zu leben, um die Sachverhalte tatsächlich zu ermitteln, deren Einzelheiten, d. h. die arbeitstechnischen Voraussetzungen in der Vergangenheit nachgerade sträflich übersehen werden.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht